Von Felix Pfeffer auf Dienstag, 06. Dezember 2022
Kategorie: Project Management

Ein Projekt ist wie ein spannender Tauchgang - Fortsetzung: Erfahrungen aus 20 Jahren Projektmanagement über und unter Wasser

Briefing – lasst uns erneut tauchen gehen!

In meinem letzten Blogartikel habe ich bereits einige Praktiken von Tauchern zusammengetragen, die euch im Projekt beim Überleben helfen können. Hier folgt die angekündigte Fortsetzung, welche auch der letzte Teil des Blogartikels ist. Jedes Kapitel beschreibt wieder einen wichtigen Hinweis. Viel Spaß beim Weiterlesen! 

Eine Führungsleine für die Orientierung

Manche Tauchunfälle sind sehr tragisch. Es sind Fälle bekannt, bei denen verunglückte Taucher nur wenige Meter von einem Höhlenausgang entfernt gefunden wurden. Sie hatten den Ausgang nicht mehr gefunden, obwohl er ganz nahe war.

In einer Höhle kann es durch die Aufwirbelung von Sedimenten schlagartig dunkel werden. Erst wenn man sich die Lampe direkt vor die Tauchermaske hält, sieht man, dass sie noch leuchtet. Gerade in stressigen Situationen oder mit mehreren Tauchern in der Höhle wird die Sicht schnell mal richtig schlecht, die Orientierung geht verloren.

Daher gehört es zu den Standards des Höhlentauchens, niemals ohne Führungsleine zu tauchen. In einer Höhle liegt immer mindestens eine Führungsleine („Golden Line“), die bei Explorationstauchgängen verlegt wurde. Verbindungen zu Nebenarmen der Höhle, in denen auch eine Leine liegt, werden mit mitgeführten „Jump Lines“ überbrückt. Der Taucher entfernt sich nie weit von der Leine, sodass er im Notfall immer nach draußen findet.

In einem Projekt können der Sponsor, der Projektleiter oder der Product Owner ebenfalls für eine Führungsleine sorgen. Der Product Owner stimmt die Vision des Produktes (das Zukunftsbild) mit dem Kunden ab und sorgt dafür, dass sie im Team verstanden wird. Der Projektleiter vermittelt seine Vision des Projektes und entwickelt eine passende Strategie (den Weg dorthin). Vision und Strategie dienen allen Projektmitgliedern als Orientierung. Bei täglichen Entscheidungen muss nicht jedes Mal eine Entscheidungsvorlage erstellt werden. Die Strategie liefert die Leitplanken und sorgt dafür, dass alle in die gleiche Richtung laufen. Im Projekt sollten Strategie und Vision im Projektauftrag („Project Charter“) verankert sein.

Identifikation und Leistung

Eine Höhlenrettung ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Nicht jede Höhlenrettung verläuft so spektakulär und findet so viele Unterstützer wie die Rettung des Fußballteams aus der Tham-Luang-Höhle 2018 in Thailand. Die Gruppe war bei einem Ausflug in der Höhle eingeschlossen worden, nachdem heftige Regenfälle weite Teil der Höhle überflutet und damit den Rückweg unpassierbar gemacht hatten. Die Gruppe wurde nach 18 Tagen gerettet, ein Taucher kam bei dem Einsatz ums Leben. Ein weiterer starb vermutlich an den Folgen des Einsatzes. Das Rettungsteam umfasste über 100 Taucher, die Kosten lagen im zweistelligen Millionenbereich.

Ein Höhlentaucher ist hoch motiviert unterwegs, nicht nur bei einer eher seltenen Höhlenrettung. Eine Höhle fasziniert mich und ich möchte wissen, wie es hinter der nächsten Kurve aussieht. Woher kommt diese Motivation? In einer Höhle habe ich eine hohe Identifikation mit den Zielen des Tauchgangs und trage gleichzeitig das gesamte Risiko. Die damit verbundene Verantwortung für das eigene Handeln bedingt auch eine große Entscheidungsfreiheit.

Eine hohe Leistungsbereitschaft ist nur möglich, wenn jeder Einzelne einen Sinn in dem Projekt sieht. Die Motivation der Teammitglieder ist entscheidend für den Projekterfolg. Einem erfolgreichen Projektleiter gelingt es, diesen Sinn zu vermitteln. Das ist eine Kunst! Die persönliche Motivation der Teammitglieder ist ohne die Vermittlung des Sinns kaum möglich und nicht nachhaltig.

Hoch wirksam ist dagegen, wenn sich der Einzelne im Team mit den Projektzielen identifiziert und selbstständig Verantwortung übernimmt. Kommen dazu ausreichende Freiräume und die Teilhabe an Entscheidungen, hat das Projekt eine gute Grundlage für ein motiviertes und leistungsfähiges Team.

Eine gute Gelegenheit dafür bietet das Kick Off Meeting. Wenn alle Teammitglieder den Projektmanagementplan gemeinsam unterschreiben, ist eine gute Grundlage für ein erfolgreiches Projekt geschaffen. Wird die Faszination für das Projekt geweckt und aktiv gefördert, kann das Projekt sogar einen erweiterten Nutzen über die eigentlichen Projektziele hinaus erzeugen. Außerdem macht es richtig Spaß, in einem motivierten Team zu arbeiten!

Klare Kommunikation

Funkwellen oder Radar sind unter Wasser nicht für die Kommunikation nutzbar. Schallwellen dagegen breiten sich im Wasser erheblich schneller aus als in der Luft. Mit Echolot und Sonar kann die Wassertiefe vermessen oder Unterwasserhindernisse festgestellt werden.

Verbale Kommunikation ist allerdings kaum noch möglich, wenn man ein Atemgerät im Mund hat. Die Tauchgemeinschaft hat sich daher auf weltweit standardisierte Tauchzeichen verständigt. Jeder Taucher lernt und weiß: formen Daumen und Zeigefingerspitze einen Kreis, ist alle „OK“. In Höhlen werden „Arrows“ und „Cookies“ für die Markierung der Sicherungsleine verwendet. An der Leine angebrachte „Arrows“ markieren immer den kürzesten Weg zur Luft bzw. zum Ausgang, „Cookies“ sind persönliche Markierungen z. B. an Abzweigungen. Diese Markierungen können auch ertastet werden und damit in kritischen Situationen ohne Licht eindeutige Informationen liefern. Die Kommunikation unter Wasser beschränkt sich auf wenige, aber eindeutig definierte Zeichen.

In Retrospektiven und Lessons Learned Workshops erlebe ich in Projekten regelmäßig, dass mangelnde Kommunikation ein Hauptproblem für Probleme im Projekt ist. Dabei kommt es nicht nur auf die Auftragsklärung mit dem Kunden oder den Austausch mit den Anwendern an. Auch die Kommunikation im Team sollte klar geregelt sein. Dazu gehört z. B. auch die Klärung verständlicher Statusreports – was bedeutet eigentlich die gelbe Ampel in euren Projekten? Wichtige Begriffe im Projekt müssen eindeutig definiert und von allen verstanden werden.

Es gibt viele Hilfsmittel, auch für virtuelle Teams. Die visuelle Unterstützung von Projektprozessen und das Zerlegen von komplexen Zusammenhängen in seine Bausteine, wie es z. B. mit dem Project Canvas möglich ist, erleichtert den Dialog. Ein Teamboard an einer zentralen Stelle des Projekts kann zum Kommunikationsmittelpunkt werden. Eine klare Kommunikation hilft nicht nur Missverständnisse und Ineffizienzen zu vermeiden, sondern sie vermeidet auch Demotivation. Eine standardisierte Kommunikation ist ein mächtiges Werkzeug, um in einem komplexen Umfeld erfolgreich zu sein.

Information und Flexibilität

Während des Tauchgangs sammle ich permanent Informationen über die Umgebung und den Status meiner Atemgasversorgung. Mein Tauchcomputer (TC) zeigt mir immer die aktuelle Tauchtiefe sowie Tauchzeit und warnt bei der Annäherung oder Überschreitung von vorher definierten Grenzen. Das Finimeter zeigt mir den noch verbleibenden Druck in meiner Tauchflasche an. Der regelmäßige Blick auf TC und „Fini“ wird geübt und gehört zum normalen Tauchverhalten.

Der Grundsatz „Plan your dive and dive your plan“ gilt. Dennoch muss ich permanent flexibel genug sein, den Plan anzupassen. Ich muss auf Geräusche und Strömungen achten. Meine Aufmerksamkeit ist immer auch auf meine Umgebung gerichtet. Der Umgang mit dem Unbekannten macht Flexibilität zu einer überlebenswichtigen Eigenschaft.

Das Monitoring mit Echtzeitdaten ist eine notwendige Voraussetzung für die Sicherung des Projekterfolgs. Im Projekt gehört dazu ein sinnvolles Konzept für das Controlling der Projektkosten und die Messung der Meilensteinerreichung. Die Definition von Kennzahlen zur Messung des Projektfortschritts hilft später bei der Entscheidung zu Plananpassungen. Der Einsatz eines geeigneten Projektmanagement-Informationssystems erleichtert die Steuerung mit Echtzeitdaten, insbesondere bei geografisch verteilten Projektstrukturen. Die Planaktualisierung aufgrund ermittelter Ist-Daten aus dem Projektverlauf schließt die Lücke zwischen Plan und Realität.

Am Ende kommt es immer auf die richtige Einschätzung und Bewertung des Projektleiters oder des Projektteams an. Das Festhalten an eigentlich schon überholten Projektplänen ist eine sichere Methode, um das Projekt an die Wand zu fahren. Ein Back-up-Plan ist immer noch ein Plan. Es gehört manchmal Mut dazu, den Plan zu ändern oder den Tauchgang sogar abzubrechen. Nicht zuletzt sollte der Intuition bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle eingeräumt werden. Grundlage für die überlebenswichtige Flexibilität ist immer das Vorhandensein von möglichst aktuellen Informationen.

Klare Abbruchkriterien

Der „Daumen nach oben“ bedeutet bei Tauchern nicht, dass alles super ist. Im Gegenteil, es ist das Zeichen für das Beenden des Tauchgangs („call the dive“). Der Tauchgang wird normalerweise beendet, wenn z. B. der vereinbarte Reservegasdruck erreicht wird, die Nullzeit (die Zeitspanne, in der man ohne Dekompressionsstopp an die Wasseroberfläche zurückkehren kann) überschritten wird oder die mit dem Boot vereinbarte Tauchzeit abgelaufen ist. Hierzu gibt es vor dem Tauchgang klare Vereinbarungen, die jeder Taucher im Team kennt.

Grundsätzlich gilt aber auch die Regel, dass jeder Taucher des Teams den Tauchgang zu jeder Zeit abbrechen kann. Gründe dafür sind z. B., dass man friert oder sich unwohl fühlt, dass es ein Problem mit der Luftversorgung oder dem Tauchcomputer gibt oder dass man Angst bekommt. Angst kann zu allen möglichen Fehlern führen, die sonst niemals passieren würden. Was auch immer der Grund sein mag, es ist sehr wichtig, dass jeder Taucher sich frei genug fühlt, den Tauchgang abzubrechen. Ein Gruppenzwang kann hier schlimme Folgen haben. Der Abbruch erfordert Mut und Verantwortungsgefühl bei jedem Taucher, da falsch verstandenes Heldentum eine Gefahr für das ganze Team werden kann.

Auch ein Projekt sollte klare Abbruchkriterien haben. Es muss klar sein, bei wem das Recht zur Beendigung des Projekts liegt. Es wäre nicht sinnvoll, wenn jedes Projektmitglied das Projekt beenden könnte, aber im Projekt sollte so viel geteilte Verantwortung vorhanden sein, dass jeder einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten kann.

Ein Erfolgskriterium sind definierte Fertigstellungs- und Abnahmekriterien für Produkte. Die „Definition of Done“ (DoD) ist eine Liste von Fertigstellungskriterien, die das Team zu beachten hat. Die DoD werden vom Development-Team auf Basis der Wünsche des Product Owners erstellt. Die Verantwortung für die DoD liegt beim Team und sie wirkt damit als Selbstverpflichtung. Damit herrscht im Team Klarheit, was es als Einheit zu liefern hat.

Zu wissen, wann ihr einen Tauchgang beenden müsst, ist etwas, das ihr in Betracht ziehen müsst, bevor es passiert. Ich habe schon oft gesehen, wie Projektleiter verzweifelt versucht haben, ein totes Pferd zu reiten. Daher wünsche ich mir mehr Projektleiter, die den Mut zum Projektabbruch haben.

Regelmäßige Briefings

Vor jedem Tauchgang erfolgt ein Briefing (Einweisung) in entspannter Situation an Land oder auf dem Boot. Jeder Taucher muss den Tauchplan verstanden haben und wiederholen können. Dadurch, dass man den Plan bespricht, werden Unklarheiten beseitigt und das Vertrauen im Team wächst. Ich kann mich darauf verlassen, dass jeder im Team den Plan kennt und auch verstanden hat.

Das Gleiche erfolgt noch mal im Wasser direkt vor dem Abtauchen. Die Taucher wiederholen den Plan (in Kurzform), wobei geringe kurzfristige Anpassungen grundsätzlich möglich sind. Das erfordert Disziplin. Ein Briefing im Wasser kostet Zeit, man möchte ja endlich tauchen.

In der Armee gibt es den Morgenappell, im Scrum das „Daily“. Dieses morgendliche Meeting dient der Synchronisation des Teams und findet in der Regel immer zu gleichen Zeit und am gleichen Ort statt. Es hilft im Team, die Tätigkeiten bis zum nächsten Daily Scrum zu teilen, zu planen und mögliche Hindernisse („Impediments“) zu kommunizieren, um notwendige Aktionen möglichst sofort einzuleiten.

Das Treffen ist zeitlich eng begrenzt, beim Scrum sind es 15 Minuten. Dabei werden drei Fragen beantwortet: Was habe ich gestern fertiggestellt? Was will ich heute fertigstellen? Hindert mich etwas an der Fertigstellung?

Bei immer komplexer werdenden Kommunikationskonzepten ist das regelmäßige Briefing eine angenehme Möglichkeit zum strukturierten Austausch. Das funktioniert auch in einer virtuellen Umgebung. Es hilft, Ziele klar zu definieren und Vorstellungen miteinander abzugleichen.
Unbedingt machen!

Häufige Retrospektiven

In unbestimmter Ferne ist ein fahles, bläuliches Schimmern erkennbar. Wenn ich jetzt die Lampe ausschalte, finde ich schnell zurück ins Licht. Der Höhlenausgang ist nicht mehr weit, schräg einfallendes Sonnenlicht taucht das Riff in ein dramatisches Bühnenbild. Die ersten neugierigen Fische schwimmen mir entgegen. Das Wellenmuster im Sand des Ausgangs ist die Schwelle ins offene Meer zum Boot.

Der Tauchgang war voller Erlebnisse, erwarteten und unerwarteten. Nach jedem Tauchgang wird im Team mit allen über den Tauchgang gesprochen, es gibt ein Debriefing (Nachbesprechung). Ich mache das nicht im Wasser und auch selten im Boot auf der Rückfahrt vom Tauchplatz.

Das Erlebte muss erst mal verarbeitet werden, – dazu gehört natürlich der spontane Austausch darüber. Das Debriefing, das ich meine, ist aber strukturiert und findet dann statt, wenn die Ausrüstung verstaut ist und alle zur Ruhe gekommen sind. Beim „Deko-Bier“ sprechen wir über den Tauchplan, – was hat gut funktioniert, was nicht so gut? Was kann an der Ausrüstung verbessert werden, welches Teil war erstmals im Einsatz und hat sich gut bewährt? Wie hat das Team funktioniert?

Im Projektteam führen wir dazu Retrospektiven oder Lessons Learned Workshops durch. Das kostet Zeit, klar. Wer einen Lessons Learned Workshop erst am Ende eines Projekts durchführt, weil es zum Standard gehört, hat eine wichtige Chance zur Verbesserung verpasst. Auch wenn man das gleiche Projekt nie wieder durchführt, haben sich die Beteiligten Wissen angeeignet, das für die Organisation wertvoll ist. Es ist wichtig, dieses Wissen zu teilen und dadurch zu wachsen.

Wichtige Voraussetzung ist Vertrauen im Team. Der Austausch dient auch dazu, Themen offen anzusprechen und das Aufstauen von Frust zu vermeiden. Eine gute Moderation ist dabei sinnvoll. Die Zeit für häufige Retrospektiven oder Lessons Learned solltet ihr euch unbedingt nehmen.

Debriefing – Fazit

Eine gute Ausbildung allein reicht nicht für ein erfolgreiches Projekt. Ein Buchklassiker der Höhlentauchausbildung heißt: „The Art of Safe Cave Diving“. Das sichere Höhlentauchen wird hier als eine „Kunst“ bezeichnet. Ich finde, das trifft auf das Projektmanagement ebenfalls zu. Die positive Motivation des Teams, die gute Kommunikation mit den Stakeholdern, der erfolgreiche Umgang mit Risiken und mit kritischen Situationen sind Fähigkeiten, die ein gewisses Talent erfordern und gutes Projektmanagement zur Kunst werden lassen. 

Seminarempfehlung

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