6 Minuten Lesezeit (1179 Worte)

Agiler Festpreisvertrag

Eine Alternative zu den bekannten, klassischen Vertragsmodellen für die agile Realisierung von IT-Vorhaben mit externen Partnern

Aufgrund immer stärker ereignisgetriebener und dynamischer Anforderungen der Kunden und Märkte, auch forciert durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, sind Unternehmen mehr denn je im Zugzwang, sehr schnell neue und den aktuellen Erfordernissen angepasste Produkte und Services oder geänderte Geschäftsmodelle für Kunden und Geschäftspartner zu entwickeln und bereitzustellen.

Eine agile Vorgehensweise bietet hier weiterhin die Möglichkeit einer schnellen Bereitstellung von einsetzbaren Produkten und Services.

Die Frage ist, gibt es ein nutzbares Vertragsmodell, über das ein Produkt/Service mit den dafür kurzfristig benötigten und spezialisierten externen Dienstleistern zu einem vorab gemeinsam vereinbarten Festpreis mit einer definierten Qualität und Umfang agil realisiert werden kann?

Traditionelle Vertragsmodelle wie „Festpreis" und „Time & Material" bringen weiter die bekannten Nachteile und Probleme für die Beteiligten bei agiler Umsetzung mit sich.

Der Agile Festpreis – Ein neues Vertragskonzept

Für Kunden haben auf den ersten Blick klassische Festpreisverträge einen Vorteil, da Verantwortung und Kosten für das zu erreichende Ergebnis feststehen.

Aus Lieferantensicht wiederum ist eine Abrechnung nach Time & Material verlockend, da hier das Risiko von Änderungen in erster Linie den Kunden betrifft.

Haben Sie mit klassischen Festpreisverträgen für IT-Projekte in der Vergangenheit bereits die Erfahrung gemacht, dass das Budget aufgrund vielfacher Change Requests am Ende doch deutlich überschritten wurde oder auch dass bei Time & Material die Kosten aus dem Ruder laufen?

Eine auf agilen Methoden weiterentwickelte Vertragsform Festpreis sollte entsprechende Möglichkeiten bieten:

  • Klare Kapitalisierung agiler Umsetzungsvorhaben
  • Projektvision als Grundlage für Zielfokus
  • Umsetzung via agiler Vorgehensweise, in definierten SPRINTS
  • Begrenzung Invest/Kosten für Vorhaben, ohne aufwendige Detailanforderungen
  • Klarer Umgang mit Anforderungsänderungen
  • Einhaltung vorgegebener Qualitäts- und Budgetrahmenbedingungen
  • Bewertung von Ergebnissen in kurzen Abständen
  • Früher Return of Invest durch abgenommene Ergebnisse aus SPRINTS
  • Transparente und zeitnahe Kommunikation

In dem nachfolgenden Schaubild ist die Idee eines Agilen Festpreises anschaulich dargestellt.

Die ersten SPRINTS enthalten zum Teil noch die grundsätzliche Klärung und Festlegung der relevanten, fachlichen und technischen Architekturthemen.
In diesen und den nachfolgenden SPRINTS wird in kleinen Iterationen die Konkretisierung des Scope nachjustiert und eine Anpassung zu Änderungen zu Zielen durchgeführt.
Im Fokus ist von Anfang an die Erstellung eines Produktes, das einen stetig ansteigenden und immer wieder in kleinen Schritten geprüften und einsetzbaren Stand hat.

Eine vorzeitige Beendigung des Projektes ist auf Basis einer agilen-SPRINT-Vorgehensweise möglich (STOP-Option).
Bis dahin erstellte Produkte aus den SPRINTS könnten eingesetzt werden.

Agiler Festpreis - was ist darunter zu verstehen?

Eine Umsetzung von IT-Vorhaben per Agilem Festpreis, gegenüber einem Vorgehen beim klassischen Wasserfall, definiert einen Vertragsrahmen, in dem die Beteiligten Kosten und Termine sowie ein strukturiertes Vorgehen vereinbaren, innerhalb dessen der Scope im Detail definiert und Änderungen gesteuert werden.

Deswegen ist der Umfang für die Umsetzung eines IT-Vorhabens nicht, wie im klassischen Vorgehen, am Anfang detailliert zu beschreiben und festzulegen.
Stattdessen werden Kosten und Zeitbedarf auf der Basis der vereinbarten Grundsätze im Laufe des Projektes definiert und verfeinert.

Auf dieser Grundlage wird im Agilen Festpreis zu Beginn kein exakter Scope/Umfang definiert.

Die Vorteile sind:
Eine definierte Scope-Detaillierung/Steuerung erfolgt im Laufe des Projektes (Entscheidung zu Priorisierung, Komplexität, Austausch von Anforderungen).

Der Kunde/Auftraggeber weiß zu Beginn, welche Kosten er für die Umsetzung der Business-Anforderungen auf einer gewissen Detaillierungsebene veranschlagen muss.

Potentiale und Möglichkeiten einEs Agilen Festpreises – Notwendige Schritte

Eigenschaften Agiler Festpreis:

Initiale Aufwände für eine Detailspezifikation werden auf die Projektphasen/SPRINTS verteilt.
So können diese zeitnah und aktuell verfeinert werden.

Vorteile:
• Ermöglicht einen schnellen Projektstart auf Basis von Visionen, Themen und Epics.
• Ermöglicht neue Detailaspekte für Anforderungen auf Basis fortlaufender Erfahrungen aus bereits erfolgten Realisierungen/Auslieferungen
• Iterative Verbesserung der Kommunikation zwischen den beteiligten Bereichen und damit kontinuierliche Verbesserung der Spezifikationen
• Änderung im Projektscope (Exchange for free) sind ohne Mehrkosten möglich
• Vereinbarung eines gemeinsamen Vorgehens zur gemeinsamen Aufwandsschätzung
• Vereinbarung einer bewussten Governance für Projektumsetzung

Hinweis:
Neue Anforderungen sind mit bestehenden Anforderungen abzugleichen und zu reduzieren. Ggf. sind auch im Agilen Festpreis Change Requests erforderlich.

Sechs Schritte zur Vereinbarung eines Agilen Festpreises

Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass der Scope bei Vertragsabschluss noch nicht im Detail definiert und spezifiziert sein muss.

Wichtig ist aber, dass zu Anfang ein guter grundsätzlicher Überblick und eine Beschreibung durch den Kunden/Auftraggeber über das erwartete Resultat/das fachliche Ergebnis des Vorhabens vorhanden sein muss, auf der Basis eines entsprechenden Business Cases des Kunden und auch in Hinsicht auf die Anforderungen und die Bewertung durch die externen Partner für die Realisierung.

Die wesentlichen Schritte hierzu zeigt die nachfolgende Abbildung 3

1. Definition des Vertragsgegenstandes - Überblick über zu erzielendes Ergebnis

  • Beschreibung der Themen, die aus fachlicher/technischer Sicht im IT-Vorhaben enthalten sind
  • Verfeinerung/Beschreibung der Themen in EPICS, über eine inhaltlich zusammenhängenden Gruppe von User Stories (mit Beschreibung zu Faktoren wie: Independent, Negotiable, Valuable, Estimatiable, Small, Testable, …), die abgegrenzte Funktionalitäten enthalten, die einzeln abgenommen und als einsetzbar übergeben werden können.

2. Detailspezifikation exemplarischer Referenz-User-Stories   
  • Beschreibung bekannter User Stories aus artverwandten Themen/Anwendungen (möglichst mit den Kriterien zu Zeit, Aufwand und Risikominimierung) als Grundlage für eine Schätzung und Hochrechnung von Aufwänden, Kosten und Komplexität für die Realisierung und Einführung.

3. Workshop zu Gesamtscope
  • Gemeinsame Verifikation und Plausibilisierung der Beschreibungen und der Schätzwerte aus Referenz User Stories
  • Gemeinsames Verständnis zu Interpretation, Priorität und Komplexität
  • Transparenz zu Geschäftswert
    • Darstellung Kunde/Auftraggeber zu Wertigkeit der Anforderung (Muss/Soll)
  • Umsetzungsrisiko
    • Bewertung des eingeschätzten Risikos bei Umsetzung (small, medium, high)
    • Bestimmung des Risikos ist wichtig für die Priorisierung und Steuerung der Umsetzung
    • Detaillierung Schätzung Kosten durch Partner/Lieferanten auf Basis Fachexpertise und Erfahrung
    • Gemeinsame Besprechung eines Sicherheitsaufschlages:
      • Komplexität des Themas/User Story
      • Wissen auf Kunden-/Auftraggeberseite
      • Expertise auf Partner-/Lieferantenseite
    • Fixierung eines indikativen Festpreises

4. Riskshare, Checkpoint-Phase und Ausstiegspunkte
  • Riskshare: Vereinbarung, dass die beteiligten Parteien einen Mehraufwand tragen, wenn etwas nicht wie im vereinbarten Scope geplant läuft
  • Checkpoint: Die Grundlagen und Lieferbeziehungen der vertraglichen Vereinbarungen werden in den ersten Phasen/SPRINTS überprüft
  • Ausstiegspunkte: Vereinbarung eines realistischen und angemessenen Ausstiegs der Beteiligten (Referenz auf Checkpoint (Prüfung nach 2-5 SPRINTS)

5. Vereinbarung Scope Governance
  • Vertragliche Festlegung zu Vorgehensmodell Steuerung der Projektinhalte/Scope
  • Festlegung der Rollen
    • Projektmanager/Product Owner
      • Verantwortliche Ansprechpartner auf Kunden-/Auftraggeber- und Partner-/Lieferantenseite
    • Scope Steering Group
      • Entscheidungsbefugte Vertreter aller beteiligten Parteien und Projektmanager/Product Owner (SPRINTS bezogen)
    • Executive Steering Group
      • Entscheidungsbefugte Vertreter aller beteiligten Parteien und Projektmanager/Product Owner mit Entscheidungsauftrag im Klärungsfall binnen vereinbarter Fist (z.B. 5 Tage)
      • Festlegung Scope-Eskalationsprozess
    • Unabhängige Instanz
      • IT-Gutachter, nach einvernehmlicher Auswahl aller Beteiligten (optional)

6. Kooperationsmodell
  • Erhöhung der Effektivität und Motivation der beteiligten Parteien
    • Auftretende Einsparungen bei der Realisierung kommen den beteiligten Parteien anteilig zu Gute

Zusammenfassung/Fazit

Wesentliche Elemente:
  • Definition des Vertragsgegenstandes/Scope in Form einer Vision und detaillierteren EPICS
  • Gemeinsame Klärung und Festlegung Aufwand/Kosten auf Grundlage von Referenz User Stories mit gemeinsamen Abstimmungen/Workshops
  • Festlegung Checkpoint für Überprüfung und Bestätigung der Annahmen
  • Festlegung Ausstiegspunkt
  • Scope Governance
  • Kooperationsmodell

Das Konstrukt eines Agilen Festpreises kann den beteiligten Parteien/einem Projekt die Möglichkeit geben, agile IT-Vorhaben im Rahmen eines im Vorfeld abgestimmten und vertraglich fixierten Budgetrahmens/Festpreises, zu entwickeln und zu liefern.

Der Agile Festpreis ist eine mögliche, gute und sinnvolle Vertragsalternative zu den klassischen Vertragsformen wie Festpreisvertrag bei „Wasserfallvorgehen" oder einer Beauftragung nach „Time & Material".

Principal Projektmanager bei ORDIX

 

Kommentare

Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!
Donnerstag, 21. November 2024

Sicherheitscode (Captcha)

×
Informiert bleiben!

Bei Updates im Blog, informieren wir per E-Mail.

Weitere Artikel in der Kategorie